Chinesische Kräutertherapie
Die chinesische Phytotherapie bietet zusätzlich zur Akupunktur ein umfassendes therapeutisches Konzept, um Krankheiten, sowie deren Ursachen und Folgen zu behandeln. Dabei wird der Körper angeregt, selbst einen Weg zu finden, um die pathogenen Faktoren zu eliminieren - über Aktivierung des Immunsystems, aber auch (je nach Notwendigkeit) über verbesserte Schweiß-, Stuhl- und Harnausscheidung. Zusätzlich wird die aktuelle Kondition des Körpers durch eine individuelle Konstitutionsbehandlung gestärkt, um die Selbstheilungsskraft zu verbessern, aber auch um möglichen Anfälligkeiten für neuerliche Erkrankungen vorzubeugen.DARREICHUNGSFORMEN
Dekokte (Tangji): stellen die häufigste klassische Zubereitungsart für chinesische Kräuter dar.
Die vom Arzt verschriebenen Arzneien werden vom Apotheker in einem Topf aus Keramik, Email oder Edelstahl mit Wasser bis 1 cm oberhalb der Kräuter bedeckt. Nach 20- 30 Minuten lässt man die Arzneien bei großer Hitze aufkochen und reduziert dann die Hitze für weitere 20-30 Minuten. Dann werden die Kräuter abgeseiht, neuerlich mit Wasser bedeckt, nochmals aufgekocht und 20 -30 Minuten köcheln gelassen. Danach wird das Wasser wieder abgeseiht und mit der ersten Abkochung vermischt. Das fertige Dekokt ist im Kühlschrank mehrere Tage haltbar, sollte jedoch nicht kalt eingenommen werden.
Granulate (Chongfuji): Die Apotheke mischt die vom Arzt vorgeschriebenen Einzelgranulate und zeichnet auf einem Messbecher die vorgeschriebene Gesamt-Tagesmenge ein. Diese Tagesmenge kann dann, zu den vom Arzt bestimmten Tageszeiten, vom Patienten in heißem Wasser aufgelöst werden. Wieviel Wasser zum Auflösen des Granulat-Pulvers verwendet wird, darf der Patient selbst entscheiden. Ideal ist es, die aufgelöste Granulatmischung eine Stunde vor oder nach einer Mahlzeit warm einzunehmen.
Granulate können von manchen Apotheken auch zu Tabletten gepresst werden.
Wie werden Granulate hergestellt? Die Roh-Arzneien werden dekoktiert und der Absud unter Vakuum bei relativ tiefer Temperatur eingedickt.
In Taiwan wird das eingedickte Granulat wiederholt auf einen Füllstoff gesprüht (meist die pulverisierte Ausgangsdroge, aber auch Maisstärke oder mikrokristalline Zellulose) und danach zum fertigen Granulat verarbeitet. Diese Granulate sind nicht vollständig wasserlöslich, die gepulverten Drogenanteile bilden nach dem Versetzen mit Wasser eine Suspension.
In der Volksrepublik China werden die Granulate in einem zweistufigen Verfahren hergestellt. Die eingedickte Flüssigkeit wird sprühgetrocknet, der Primärextrakt wird dann mit Hilfsstoffen (u. a. Maltodextrin) auf den gewünschten Verdünnungsfaktor eingestellt und anschließend zu einem Extraktgranulat verarbeitet.
Hydrophile Konzentrate: Hydrophile Konzentrate sind Kräuterextrakte aus einem Alkohol-Wasser Gemisch mit Glycerin als Stabilisator und sind besonders für die Behandlung von Kindern und geschmacklich empfindlichen Patienten geeignet. Sie müssen kühl gelagert werden.
Pulver (San): Die Bestandteile werden zerrieben und eingenommen.
Pillen (Wan): Granulate können zu Tabletten gepresst werden. Auch die zerriebenen Bestandteile von Einzelarzneien können mit Flüssigkeit oder Bindemittel zu Pillen geformt werden und sind dadurch leichter einnehmbar als Dekokte.
Sirupe: Durch Vermischung von Dekokten mit Rohrzucker lassen sich für Kinder bekömmliche Sirupe herstellen.
Salben: Chinesische Arzneidekokte können dekoktiert, konzentriert in Salbengrundlagen gemischt und lokal auf die Haut appliziert werden (z. B. bei Neurodermitis, Akne oder auch bei Sportverletzungen). Salben können auch durch direkte Einarbeitung löslicher Granulate in handelsübliche Salbengrundlagen hergestellt werden.
Zäpfchen: Hochkonzentrierte Dekokte können auch zur Zäpfchenherstellung verwendet werden, weiters können Extraktgranulate auch direkt in die Zäpfchengrundlage eingeschmolzen werden.
ARZNEIEN
In Österreich dürfen derzeit ca. 300 verschiedene Arzneimittel der chinesischen Medizin nur in speziell geschulten Apotheken nach vorheriger Überprüfung auf Reinheit angeboten werden. Die meisten Arzneien (90%) sind pflanzlicher Herkunft, es gibt jedoch auch einige wenige mineralische Substanzen und Arzneien aus dem Tierreich. Niemals werden in Österreich Tierprodukte verwendet, die aus Artenschutzgründen strengstens verboten sind, wie zum Beispiel Tigerknochen oder Rhinozeros-Hörner.
Jede Arznei wird klassifiziert nach:
Temperaturverhalten
Heiß und warm: Diese Arzneien sind aktivierend, beschleunigen, dynamisieren, lösen und zerstreuen. So bewirken Zimtzweigchen (Ramulus Cinnamomi) durch ihre warme Schärfe eine Erwärmung der Körperoberfläche und können bei Verkühlungen leicht schweißtreibend und immunstimulierend wirken.
kühlend und kalt: Der kühle Aspekt wirkt anti-entzündlich und befeuchtet ausgetrocknete Schleimhäuten, verlangsamt pathologisch beschleunigte (entzündliche) Stoffwechselprozesse und beruhigt. Kühles und Kaltes kann Hitze kühlen und Yin anreichern. So verwendet man z. B. Radix Rehmanniae viride (Sheng di huang), um das Nieren Yin bei menopausalen Hitzewallungen zu stärken, aber auch um Hitze nach hochfieberhaften Infektionserkrankungen zu kühlen, wenn zum Beispiel nach einer Pneumonie trotz antibiotischer Behandlung lang anhaltender trockener Husten, große Unruhe und Herzklopfen mit subfebrilen Temperaturen enstanden sind.
neutral: Oft bei Diuretika, wie Poria (Fuling)
Geschmacksrichtung
Der Geschmack einer Arznei gibt Aufschluss über die Wirkebene und Eindringtiefe. Jedes Arzneimittel kann verschiedene Geschmacksrichtungen haben.
scharf: an der Oberfläche wirksam, zerstreuend bei Ansammlungen von Feuchtigkeit oder Schleim, öffnend, entfaltend
süß: befeuchtend, Säfte spendend, aktive Energie tonisierend, regulierend, harmonisierend
neutral: oft diuretisch wirksam, regulierend
sauer: adstringierend, Säfte erhaltend, Schweiß hemmend
bitter: nach unten ausleitend, trocknend, klärend
salzig: befeuchtend, Säfte erzeugend, laxierend, Knoten erweichend, in der Tiefe wirkend
Organ und Leitbahnenbezug
Jede Arznei hat einen oder mehrere spezielle Wirkorte, in denen sie ihr Potential besonders gut entfaltet. So wirken scharfe Arzneien besonders gut bei Kälte und Feuchtigkeit im Respirationstrakt, saure Arzneien in der Leber, süße und neutrale in der Milz, bittere im Herzen und salzige in der Niere.
Wirkrichtung
Oberflächlich wirkende Arzneien: Während warme, oberflächlich wirksame Arzneien pathogene Faktoren wie Kälte im Anfangsstadium von Verkühlungen befreien können (Zimtzweigchen), behandelt man mit kühlen, oberflächlich wirksamen Arzneien fieberhafte Erkrankungen im Sommer, z. B. mit der Klettenfrucht, Fructus Arctii, Halsentzündungen.
Im Inneren wirkende Arzneien: Regulieren und stärken innere Organe, Blut und Qi: z. B. Rd. Ginseng (Ren shen) stärkt das Qi von Milz, Herz und Lunge.
Emporhebende Arzneien: Heben das körpereigene Qi nach oben und entfalten an der Oberfläche ihre Wirkung: z.B. das Traubensilberkerzenrhizom, das entzündetes Zahnfleisch kühlen und auch andere kühlende Arzneien kopfwärts ziehen kann.
Absenkende Arzneien: Ziehen Energien nach unten und innen, besonders auch bei gegenläufigen Qi -Bewegungen, wie aufsteigendes Leber Yang mit den Symptomen: Kopfschmerzen, Schwindel und Migräne.
REZEPTUREN
Rezepte der Chinesischen Arzneimitteltherapie bestehen fast nie aus Einzelarzneien, sondern sind nach dem Multi-target Prinzip eine komplexe Mischung aus verschiedenen Arzneien, die:
- einander verstärken, ohne Nebenwirkungen zu erzeugen, weil die Einzelarznei in ihrer Dosis gering gehalten werden kann.
- einander antagonisieren: so verschreibt man zum Beispiel bei einem akuten Infekt mit Husten bei Verkühlung scharfe, warme Arzneien, die Kälte zerstreuen können und eine adstringierende, saure Arznei, die dann als Ausgleich zu den stark zerstreuenden Arzneien, deren Wirkung modifiziert und nebenwirkungsfrei hält.
- Oft werden Arzneien mit unterschiedlicher Wirkung bewusst kombiniert, um komplexe Beschwerdebilder besser beeinflussen zu können. Zum Beispiel wird bei einer Form des Burn Out Syndroms eine Rezeptur verwendet, die einerseits Qi-tonisierende Arzneien wie Rd. Ginseng und Rd. Astragali verwendet, und andererseits entspannende Arzneien wie Sm. Ziziphi spinosae. Dadurch wird die Müdigkeit, die so typisch für das Burn out Syndrom ist, behandelt, aber auch die zeitgleich vorhandene geistige Unruhe, die in so einem Fall oft zu Panikattacken führen kann.
Der Aufbau einer Rezeptur setzt sich aus einem hierarchischen Prinzip zusammen, das sich von der im alten China verwendeten Rangordnung ableitet:
- Kaiserarznei: dieser Bestandteil bestimmt die Hauptwirkrichtung der Rezeptur
- Ministerarznei: wirkt ähnlich wie die Kaiserarznei und unterstützt und verstärkt diese in ihrer Wirkung
- Assistentenarznei: behandelt Nebenbefunde, die von den Hauptarzneien nicht abgedeckt werden können, bzw. antagonisiert die Hauptarzneien, um Nebenwirkungen zu vermeiden.
- Botenarznei:kann die Wirkung der anderen Arzneien auf gewisse Organe, Meridiane oder Wirkrichtungen lenken und hat auch harmonisierende Wirkung auf die gesamte Rezeptur, indem sie toxische Nebenwirkungen abpuffert.
TOXIKOLOGIE UND SICHERHEITSASPEKTE
Auf TCM spezialisierte österreichischen und deutschen Apotheken werden von Großhändlern mit chinesischen Arzneien beliefert, die aus zuverlässigen, staatlich kontrollierten Betrieben der VR China einkaufen und problemanfällige, aus China kommende, Chargen auf Pestizide (inkl. Herbizide), Aflatoxine, mikrobielle Verunreinigungen und Schwermetallgehalt überprüfen. Dringend abgeraten wird vom Kauf von Billigarzneien aus dem Internet, da diese oft weder auf Identität, noch auf Reinheit überprüft sind.
Zur Überwachung eventueller Nebenwirkungen von TCM Arzneien wurde das Centrum für Therapiesicherheit in der Chinesischen Arzneitherapie (CTCA) vom deutschen Arzt Dr. Axel Wiebrecht in Berlin gegründet, das sämtlichen gemeldeten Nebenwirkungen nachgeht und bei Problemen die Ärzteschaft informiert. Alle wichtigen Ausbildungsgesellschaften sind dort Mitglied, sodass ein schneller Infomationstransfer ermöglicht wird und die Sicherheit der Patienten gewahrt werden kann.